Minderheit unter Generalverdacht

04. Dezember 2012

Anfang November verurteilte das Bezirksgericht Zürich ein jenisches Ehepaar wegen gewerbsmässigen Betrugs zu einer zweijährigen bedingten Freiheitsstrafe. Mit Kartenlegen und Wahrsagen hatte das Ehepaar innerhalb von zehn Jahren 2,6 Millionen Franken verdient. Gleichzeitig bezog das Paar Sozialhilfe. Zwei Stellungnahmen zur Medienberichterstattung. ...

Anfang November verurteilte das Bezirksgericht Zürich ein jenisches Ehepaar wegen gewerbsmässigen Betrugs zu einer zweijährigen bedingten Freiheitsstrafe. Mit Kartenlegen und Wahrsagen hatte das Ehepaar innerhalb von zehn Jahren 2,6 Millionen Franken verdient. Gleichzeitig bezog das Paar Sozialhilfe. Zwei Stellungnahmen zur Medienberichterstattung. Markus Notter, Präsident der Gesellschaft Minderheiten in der Schweiz (GMS) und der Stiftung Zukunft für Schweizer Fahrende, vom 2.12.2012:«Minderheiten unterscheiden sich in Lebensart- und auffassung, Werthaltung, religiöser Überzeugung oder Sprache von der Mehrheitsgesellschaft. Sie stehen damit immer in einem Gegensatz zur Mehrheit – und damit auch immer in Gefahr, zur Anpassung gezwungen zu werden. Der rechtliche Schutz von Minderheiten will das verhindern.Rechte könne missbraucht werden. Das Zivilgesetzbuch von 1907 bringt den Umgang mit solchem Missbrauch prägnant zum Ausdruck: „Der offenbare Missbrauch eines Rechtes findet keinen Rechtsschutz“. Das gilt auch für Minderheitenrechte und gehört bestraft. Wer seine Stellung als Angehöriger einer Minderheit missbraucht, um einen unrechtmässigen Vorteil zu erlangen, schadet aber darüber hinaus auch der eigenen Gruppe. Vorurteile werden zementiert und der immer latent vorhandene Anpassungsdruck bekommt Auftrieb. Die Gefahr von Diskriminierung steigt. Solches Verhalten ist deshalb besonders verwerflich und unsolidarisch.Der Missbrauch eines Rechts entwertet das Recht aber nicht. Minderheitenrechte sind in einem demokratischen Rechtstaat unerlässlich. Dabei soll man nicht übersehen, dass es auch einen Schutz des Individuums braucht vor unrechtmässigen Ansprüchen der eigenen Minderheit. Wer die Lebensauffassung oder Werthaltung der Gruppe, in die er hineingeboren wurde, nicht teilen kann, muss die Möglichkeit haben, sich davon zu lösen. Es braucht aber den Schutz der Minderheiten, damit individuelle Freiheit auch in ihnen gelebt werden kann. Dabei stellen sich zuweilen schwierige Fragen, die über den rechtlichen Bezirk hinaus führen. Richtschnur für deren Beantwortung muss immer der Respekt gegenüber den Minderheiten sein.» Daniel Huber, Präsident der Radgenossenschaft der Landstrasse, vom 7.11.2012:«Im Namen der Radgenossenschaft der Landstrasse und persönlich verurteile ich die betrügerischen Handlungen eines Ehepaars von Fahrenden. Ich bin gleichzeitig enttäuscht darüber, dass die Täter verbreitete Vorurteile gegenüber Jenischen zu bestätigen scheinen. Die weit überwiegende Mehrheit der Fahrenden verhält sich jedoch korrekt und erfüllt ihre Pflichten gegenüber dem Staat und den Mitbürgern.» «Mit Kartenlegen Millionen verdient», Neue Zürcher Zeitung, 2.11.2012«Wahrsagerin kam glimpflich davon», Tages-Anzeiger, 2.11.2012