Jenische beim Schrottsortieren
Jenische beim Schrottsortieren, 1990er Jahre. Foto: Roger Gottier, Bildarchiv Radgenossenschaft.

Berufe

Text: Thomas Huonker

Unter den schätzungsweise 35’000 Jenischen, 2000 Sinti und 40’000 Roma, die in der Schweiz leben, müssten im Prinzip, da in der Schweiz freie Berufswahl und Chancengleichheit verfassungsmässige Rechte sind, alle Berufe vertreten sein. Doch gibt es dazu keine exakte Statistik. Alle Aussagen hiezu beruhen auf Schätzungen.

Bei der Gruppe der Jenischen ist zudem das Berufsspektrum in verschiedenen Untergruppen unterschiedlich. Die fahrenden Jenischen, ebenso wie die fahrenden Sinti und die – überwiegend aus dem Ausland einreisenden – fahrenden Roma betreiben traditionellerweise ambulante Gewerbe, wenn auch in moderner Form und mit moderner Technik. Dazu gehört etwa das Hausieren mit Haushaltsartikeln (z. B. Handtücher, Schürzen, Hemden, Stoffe) oder solchen des gewerblichen Bedarfs (z. B. Seilerwaren, Arbeitskleidung) sowie von teilweise selbst angefertigten Produkten (z. B. Korberwaren). Andere ambulante Gewerbe erbringen Dienstleistungen wie Reparaturen, Unterhalts- und Renovationsarbeiten in den Bereichen Haushalt, Gastronomie, Gewerbe und Liegenschaften (Schleifen von Scheren und Messern sowie von Klingen in diversen Maschinen, Herrichten von Pfannen, Dachdeckerarbeiten, Reinigung und Neuanstrich von Fassaden, Mauern und Zäunen, Gartenarbeit etc.). Ebenfalls seit jeher sind die Fahrenden im Handel und der Restauration von Antiquitäten, Zinn- und Messingwaren (Gefässe, Becher, Glocken) sowie in der Antikschreinerei von Möbeln nach älteren Vorlagen tätig, ferner im Teppichhandel und im Recyclinggewerbe. Dort geht es neben Abbrucharbeiten und Abtransport von Abfall aller Art, auch von Sondermüll gemäss den gesetzlichen Vorschriften, oft um die Einlieferung von Altmetall in sortierter und gereinigter Form zur Wiederverwertung. Dazu gehört auch der Ankauf von Altgold. Aufgekaufter Schmuck und Uhren werden, je nach Sammelwert, nicht nur durch Einschmelzen, sondern auch mittels Reparatur und Weiterverkauf verwertet. Manche Fahrende arbeiten auch als Musiker, Artisten und Schausteller; einige bekannte Zirkusdynastien sind jenischer Herkunft.

Scherenschleifer
Scherenschleifer auf der Axenstrasse bei Flüelen UR, 1920er Jahre.

Nur der kleinere Teil der Fahrenden spezialisiert sich auf eines dieser Gewerbe. Viele betreiben mehrere davon parallel, je nach Konjunktur. In den letzten Jahrzehnten sehen sich die Fahrenden in vielen dieser Gewerbe der Konkurrenz durch Sesshafte ausgesetzt. Charakteristisch für die Arbeitsorganisation der Fahrenden ist, dass sie ohne Angestellte, aber oft im Familienverband oder in Zusammenarbeit von zwei oder drei befreundeten Familien erledigt wird. Dabei durchlaufen die Jugendlichen eine informelle und praxisnahe Ausbildung im elterlichen Betrieb oder im Gewerbe von Verwandten. So bilden sie sich vielfältig aus können sich früh in jenen Sparten selbstständig machen, die ihnen zusagen. Probleme dabei waren und sind der Mangel an Zonen und Plätzen für solche Gewerbe sowie die vor allem bis zur Einführung des landesweiten Patents im Jahr 2003 oft sehr hohen und mit schikanösen Prozeduren verknüpften kantonalen Patentgebühren. Subventionen oder Fördermassnahmen für diese für die Gesamtwirtschaft bedeutsamen Arbeitszweige gab es in der Schweiz nie, wohl aber, vor allem in früheren Jahrhunderten, immer wieder Anläufe zu deren Verbot. Insbesondere der Hausierhandel wurde und wird jedoch besonders in abgelegenen Regionen von vielen Sesshaften sehr geschätzt; diese Gebiete setzten sich auch in früheren Zeiten gegen Hausierverbote ein.

Die sesshaft lebenden Jenischen, insbesondere jene, die von der Zeit der systematischen Verfolgung ihrer Kultur und ihrer Familien geprägt sind, arbeiten überwiegend im Bereich tiefer oder mittlerer Löhne, manche im Transportgewerbe, andere im Service, auf dem Bau, aber auch in Verkauf und Handel, als Vertreter, als Techniker und im Büro. Es gibt auch jenische Schafzüchter, Buchhalter und Naturwissenschaftler. Einzelne haben es durch Geschäftstüchtigkeit zu Reichtum gebracht, teilweise trotz ausgesprochen schlechter Schulbildung. Andere fanden im Bildungs- und Kulturbereich, vor allem auch im Bereich der Volksmusik, hohe Anerkennung. Einige der im Rahmen der systematischen Kindswegnahmen von 1926 bis 1973 von nichtjenischen Familien Adoptierten fiel es durch Wegfall der den Jenischen vielerorts entgegengebrachten Ausgrenzung und Verfemung leichter, in gut bezahlte hohe Stellungen zu gelangen, doch wagen es selbst heute noch längst nicht alle dieser Personen, zu ihrer Herkunft zu stehen.

Die wenig zahlreichen Sinti in der Schweiz leben zu einem höheren Anteil fahrend als die Jenischen und die Roma; ihre ambulanten Gewerbe entsprechen den oben genannten.

Die ausländischen Roma, welche die Schweiz befahren, arbeiten vor allem als Schleifer von Maschinenteilen, Werkzeug und Bohrern sowie als Teppichhändler.

Die sesshaften Roma in der Schweiz sind wegen des bis 1972 bestehenden Einreiseverbots seit den 1950er Jahren ohne Deklaration ihrer kulturellen Zugehörigkeit als Fremdarbeiter oder als Flüchtlinge aus osteuropäischen Ländern eingereist. Sie lebten lange Jahre als Saisonniers, teilweise in Baracken, und arbeiteten im niedrigsten Lohnsegment. Später flohen viele vor der nach 1989 in den osteuropäischen Ländern einsetzenden Verfolgung durch nationalistische und rassistische Regimes in die Schweiz. Während die erste Einwanderergeneration unter diesen Umständen nur selten leitende Stellungen oder höhere Einkommen erreichte, ist dies für die jüngeren Roma nun auch möglich. Ein Hindernis dabei ist die überproportionale mediale Beachtung, welche nicht die Mehrzahl der sich problemlos und kreativ integrierenden, die kulturelle Vielfalt der Schweiz bereichernden Roma erhält, sondern die kleine Zahl schwieriger Biografien. Solche gibt es in allen Menschengruppen gleichermassen, auch in den Mehrheitsgruppen, doch ist sozialwissenschaftlich erwiesen, dass gegenüber Minderheiten ein von manchen Medien und Politikern zusätzlich geschürter Effekt der Diskreditierung wirksam ist, welcher die schwarzen Schafe als «typisch» für die Gruppe hinstellt.