Kinderheim Klingnau
Das Kinderheim St. Johann im aargauischen Klingnau wurde wie die meisten Heime von katholischen Schwestern geführt. Hier waren über 20 «Kinder der Landstrasse» untergebracht.

Fremdplatzierung der «Kinder der Landstrasse»

Text: Sara Galle

Die «Kinder der Landstrasse» wurden von ihren Vormunden in Pflegefamilien, meist aber in  Heimen und Anstalten platziert und waren oft mehrfachen Diskriminierungen  ausgesetzt.

Die Absicht der Pro Juventute war es, die jenischen Kinder bei «rechtschaffenen» Pflegefamilien unterzubringen. Doch bald zeigte sich, dass nicht genügend Familien zur Verfügung standen. Die meisten Mündel platzierten Alfred Siegfried und Clara Reust deshalb in Kinderheime und Erziehungsanstalten. Als Begründung führten sie allerdings meist den schwierigen Charakter oder mangelnde Intelligenz der Kinder und Jugendlichen an.

Fast alle betroffenen Kinder und Jugendlichen wurden von Fachleuten begutachtet. Über 100 Kinder wurden dafür im Einverständnis der Behörden in Beobachtungsstationen und psychiatrische Kliniken eingewiesen. Aufgrund ihrer familiären Herkunft galten die Kinder als erblich belastet und wurden von ihren Vormunden vorwiegend in Heimen für «Schwererziehbare» oder «Geistesschwache» untergebracht. Siegfried und Reust besuchten als Vormunde ihre Mündel in der Regel einmal im Jahr. Ihre Anordnungen stützten sie hauptsächlich auf Berichte der Pflegeeltern und Heime, die wie die Vormunde von den zuständigen Behörden kaum beaufsichtigt wurden.

Nur wenige der betroffenen Jugendlichen konnten einen Beruf erlernen. Die meisten erhielten lediglich eine rudimentäre Schulbildung und arbeiteten nach der Schule als Knechte und Mägde bei Bauernfamilien oder als Dienstboten in privaten Haushalten. Diese Arbeitsverhältnisse waren von grosser Unsicherheit und Abhängigkeit geprägt.

Oft ausgenutzt und missbraucht, versuchten viele Jugendliche durch Flucht der Ausbeutung sowie physischer, psychischer und sexueller Gewalt zu entkommen. Für die meisten hatte dies Massnahmen zur Folge, welche Clara Reust als «eine Nummer schärfer» bezeichnete. Die Situation wurde meist nicht besser, sondern noch schlimmer. Auf Antrag ihrer Vormunde wurden über 250 Kinder und Jugendliche in Arbeits- und Zwangserziehungsanstalten eingewiesen. Mehr als ein Viertel blieb über das Mündigkeitsalter hinaus bevormundet. 

Viele betroffene Kinder und Jugendliche und ihre Angehörigen wurden in ihrer Integrität schwer verletzt, sowie in schlimmster Weise verunglimpft und diskriminiert, vielfach durch Internierungen in Straf- und Zwangsarbeitsanstalten kriminalisiert und durch psychiatrische Begutachtungen pathologisiert.