Nach langer Suche scheint ein Grundstück für Fahrende in Schaffhausen gefunden. Schon Ende Jahr könnte die nationale Minderheit der Sinti und Jenischen im Merishausertal ihre Wohnwagen abstellen. Ein Sichtschutz soll das Nebeneinander erleichtern.
Schaffhauser Nachrichten/Tobias Bolli
Ihre Heimat ist das Noma- dentum. 2000 bis 3000 Jenische und Sinti wechseln in der Schweiz regelmässig ihren Aufenthaltsort. In Familienverbänden sind die Fahrenden, beide anerkannte nationale Minderheiten, für gewöhnlich mit fünf bis zehn Wohnwagen unterwegs. Manche Fa- milien reisen von Frühling bis Herbst, an- dere ziehen das ganze Jahr von Platz zu Platz. Ihren Lebensunterhalt bestreiten sie oft als Händler oder sind im Bau und Ge- werbe tätig – wenn sie denn überhaupt einen Aufenthaltsort finden. Laut Stiftung Zukunft für Schweizer Fahrende herrscht noch immer ein akuter Mangel: Es fehlten schweizweit 20 bis 30 Standplätze und bis zu 50 Durchgangsplätze, wo sich die Fah- renden mit ihren Zugfahrzeugen, Wohn- wagen, Kinderwohnwagen und Anhängern zeitweilig niederlassen könnten. Zumindest in Schaffhausen dürften sie nun bald einen Durchgangsplatz bekom- men. Kürzlich hat der Schaffhauser Regie- rungsrat ein Baugesuch für einen Durch- gangsplatz eingereicht, wie dem Amtsblatt zu entnehmen ist. Eine langjährige Suche könnte sich damit ihrem Ende zuneigen. Der kantonale Richtplan sieht seit rund sechs Jahren «einen Durchgangsplatz mit zehn Stellplätzen für Fahrende als Ersatz für einen aufgehobenen Durchgangsplatz» vor. Der Kanton handelt nicht nur aus eige- nem Antrieb, sondern versucht mit der Realisierung eines Platzes einem Auftrag des Bundes nachzukommen. Laut Bundes- gericht müssen die Kantone den Fahren- den in der Raumplanung Rechnung tragen. Zuvor hatte schon der Europäische Ge- richtshof für Menschenrechte festgestellt, dass Jenische und Sinti ein Recht auf ihre fahrende Lebensweise hätten.
Anfänglicher Widerstand
Für den Platz ins Auge gefasst wird ein 6000 Quadratmeter grosses Grundstück nordwestlich des Restaurants Ziegelhütte im Merishausertal, das auf einer in Kantonsbesitz befindlichen Parzelle liegt. «Der Standort befindet sich in der Gewerbezone und ist zum einen sehr gut an das übergeordnete Strassennetz angebunden, zum anderen liegt er direkt im Grünen», begründet Kessler die Wahl. Damit ist der Regierungsrat auf einen Standort zurückgekommen, der schon früher zur Diskussion stand, aber wohl am Widerstand von Pius Zehnder scheiterte, dem Generalunterneh- mer der damals noch im Umbau befindlichen Ziegelhütte. Zehnder äusserte die Befürchtung, Gäste des Restaurants könnten an den umgesetzten Bauplänen Anstoss nehmen. Darauf machte sich die Regierung vergeblich auf die Suche nach einem alternativen Grundstück. In der Zwischenzeit hat Zehnder die Ziegelhütte an Roland Hallauer verkauft, der das Restaurant zusammen mit seinen Brüdern Urs und Markus leitet. Man habe noch keinen Kontakt mit Kessler gehabt und das Baugesuch noch nicht eingesehen, sagte Hallauer auf Anfrage. Von Kanton und Stadt erwarte man nun, «dass alle Massnahmen ergriffen werden, um unser Ge- schäft möglichst wenig zu beeinträchti- gen». Laut Kessler soll der vordere Teil der Parzelle weiterhin für eine gewerbliche Nutzung freigehalten werden. «Dies und die geplante Bepflanzung entlang der Umfriedung wird einen gewissen Sichtschutz bieten, was in beidseitigem Interesse ist.» Der Durchgangsplatz soll ohne Zufahrt und Umgelände rund 2600 Quadratmeter messen und den Fahrenden elf Stellplätze mit je einer Energiesäule für Wasser und Strom bieten. Um den Platz möglichst bedürfnisgerecht zu gestalten, habe man für die Planung auf ein Handbuch der Stiftung Zukunft für Schweizer Fahrende zurückge- griffen. Das Handbuch ist online zugänglich und breitet auf rund 80 Seiten sehr de- taillierte Empfehlungen und Hintergrundinformationen aus. Ergänzt werden die elf Stellplätze von einer kleinen Hochbaute mit zwei Toilettenanlagen, Lavabos sowie einem kleinen Technikraum. Der Baustart ist für Anfang Juni geplant, Ende Jahr soll der Durchgangsplatz dann (ausschliesslich für Sinti und Jenische) bereitstehen. Die Kosten belaufen sich auf 1,25 Millionen Franken, 0,5 Millionen Franken davon zahlt der Bund, für die übrigen 0,75 Millionen wird der Kanton aufkommen.
Schwierige Lebenssituation
Simon Röthlisberger, Geschäftsführer Stiftung Zukunft für Schweizer Fahrende, zeigt sich erfreut über die Einreichung des Baugesuchs und begrüsst dessen Inhalt. «Ich habe den Eindruck, es ist ein gutes Projekt, das den Bedürfnissen der Jenischen und Sinti gerecht wird.» Wegen der fehlenden Plätze seien beide Minderheiten in ihrer Lebensweise derzeit stark eingeschränkt. Es komme zu Konflikten mit Landeigentümern und zu Spannungen mit anderen Fahrenden. Ein Ausweichen auf Campingplätze betrachtet Röthlisberger nicht als Lösung. «Sinti und Jenische beanspruchen jeweils viel Platz auf einmal, ausserdem haben sie andere Bedürfnisse als Touristen und werden teilweise diskriminiert und gar nicht erst auf den Platz gelassen.» Für manche biete die unbekannte Minderheit eine Pro- jektionsfläche, die dann mit eigenen Vorurteilen bespielt werde. Demgegenüber zeige die Erfahrung in anderen Kantonen, dass sich allfällige Bedenken nach einem Kontakt oft zerstreuten: «Dort, wo Austausch entsteht, funktioniert die Nachbarschaft. Denn es sind nicht nur Wohnwagen und Autos, die kommen, es sind Menschen, die auf dem Platz leben.»