Die Schweiz soll einen Völkermord begangen haben. Jenische und Sinti wollen, dass ihr Leid anerkannt wird. Warum ist den Opfern das Etikett Genozid so wichtig?
Katharina Bracher / NZZ
Die meisten Menschen geben ungern zu, wenn sie falschliegen. Josef Schelbert konnte sein Leben lang nicht zu seinen Fehlern stehen. Der Kreis der Opfer, die sich an die Medien wandten, wurde grösser, die Beweislast wog schwer und schwerer: Aber Schelbert schien unbeeindruckt. Er war Polizist, Kantonsrat, ein angesehenes und bestens vernetztes Mitglied der Schwyzer Gesellschaft. Und eins wollte er garantiert nicht sein: Täter.
Wäre Schelbert zu seinen Fehlern gestanden – sein halbes Leben wäre ein Irrtum gewesen.
Schelbert ist einer von Hunderten von Schweizerinnen und Schweizern, die bis in die 1980er Jahre an der Verfolgung von Jenischen und Sinti beteiligt waren. Diese Volksgruppen lebten vorwiegend in der ländlichen Schweiz, vor allem in Graubünden und im Kanton Schwyz. Ihre Siedlungen aus Wohnwagen, vor denen die Kinder spielten und die Eltern ihrem Handwerk nachgingen, prägten das Landschaftsbild. Die «Zigeuner» oder «Fecker», wie man sie damals nannte, lebten von Gelegenheitsarbeiten wie Reparaturen von Pfannen, Schirmen und Kesseln, oder sie verkauften von Hand geflochtene Körbe und Seile.
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